Die neuen Imperien – Ein digitales Phänomen

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Der Begriff „Imperium“ ist ein ziemliches wuchtiges Wort. Man denkt dabei vielleicht an das antike Rom oder auch an Star Wars. Meist hat man dabei Bilder im Kopf von mächtigen, längst untergegangenen Reichen. Dabei ist der Begriff „Imperium“ nicht eindeutig definiert. Was unterscheidet zum Beispiel ein Imperium von einem Großreich? Eine schöne Definition liefert der Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Er definiert ein Imperium als „Schöpfer einer Ordnung“, als ein Konstrukt, das keine gleichberechtigten Nachbarn kennt und aus dessen Herrschaftsanspruch ein permanenter „Zwang zur politischen und militärischen Intervention“ resultiert.

Ein Imperium unterwirft sich demnach keinen Gesetzen. Es stellt seine eigenen Gesetze auf. Es verfügt oft über einen ideologischen Unterbau. Und da es sich selbst als überlegen betrachtet, akzeptiert es auch keine Grenzen, sondern es überschreitet sie, wann immer es im eigenen Interesse sinnvoll erscheint. Weil man keine gleichberechtigten Partner akzeptiert, ergibt sich zwangsläufig auch ein globaler Herrschaftsanspruch. Und niemand hat – aus der Sicht eines Imperiums – das Recht, sich diesem Anspruch zu entziehen. Und wer es doch versucht, bekommt früher oder später die Macht dieses Ungetüms zu spüren.

Das alles klingt nicht besonders fair, nicht besonders sozial und nicht besonders demokratisch. Deswegen haben Imperien in der modernen westlichen Welt auch ein eher schlechtes Image oder werden zumindest zwiespältig betrachtet, denn natürlich hat auch ein Napoleon oder ein Imperium Romanum viel Gutes bewirkt – wären nur nicht all die hässlichen Zwangsmaßnahmen und Kriege gewesen, ohne die es aber anscheinend nicht ging.

Trotzdem: imperiales Gehabe, wie zum Beispiel die ein oder andere militärische Intervention der USA, ruft meist eine massive, negative Reaktion auf der Welt hervor.

Man mag sich nun fragen, ob solche Imperien in der heutigen Zeit überhaupt noch existieren. Zwar verfügen Länder wie die USA oder China über ein riesiges Machtpotential und auch über weltweite Machtstrukturen. Trotzdem sind auch sie letztlich Teil einer globalen Ordnung. Der Islamische Staat hat zwar den Anspruch ein solches Imperium zu sein, scheitert jedoch an der Umsetzung seiner Ambitionen.

Doch der Blick auf dieses Thema ändert sich, wenn man sich von der Vorstellung verabschiedet, dass ein Imperium eine staatliche Grundlage haben muss. Denn: wie viel kann ein Staat in der heutigen Zeit noch bewirken? Ein Staat verfügt über ein mehr oder weniger großes Territorium, eine mehr oder weniger große Bevölkerung. Er wird von innen von Parteien, Presse, Gewerkschaften und sonstigen Interessenclubs gelenkt und bedrängt. Von außen wird ein Staat argwöhnisch von seinen Nachbarn, der UNO und einem guten Dutzend weiterer internationaler Organisationen beäugt, in denen man außerdem zum Teil noch Mitglied ist. Schlechte Voraussetzungen für Welteroberungspläne.

Ganz anders stellt sich die Ausgangslage hingegen dar, wenn man global operierende Konzerne betrachtet. Vor gar nicht allzu langer Zeit galten Unternehmen noch als „gezähmt“. Schließlich waren diese den Gesetzen des jeweiligen Landes unterworfen, in dem man seine Geschäfte abgewickelt hat. Vor dem Fall der Mauer stellte sich auch die sogenannte „Weltwirtschaft“ im Wesentlichen als Austausch bloß zwischen den westlichen Industrienationen dar. Und innerhalb dieser Staatengruppe war man sich auf gesetzlicher Ebene im Wesentlichen über die Marschrichtung einig: Rechtsstaatlichkeit, Einhaltung demokratischer Grundrechte, Beteiligung des „kleinen Mannes“ am volkswirtschaftlichen Erfolg, mehr oder weniger stark ausgeprägte soziale Absicherung, später kam dann noch der Umweltschutz hinzu. Die Unternehmen waren somit die Gäule, die man vor den Karren der demokratischen, solidarischen Gemeinschaften gespannt hatte.

Doch wie der ein oder andere Arbeitnehmer schon am eigenen Leib erfahren durfte, steckt in so manchem Unternehmer auch ein kleiner Imperator. Und als solcher fühlt man sich in der Rolle eines Ackergauls ganz und gar nicht wohl. Denn eine Grundregel des Menschseins lautet auch: wer Macht besitzt, hätte gern noch mehr davon. Und zwar bei möglichst wenig Einmischung von außen. Im staatlichen Rahmen wurde dieses Machtstreben des Einzelnen in den westlichen Ländern durch demokratische Systeme mit dem Prinzip der Gewaltenteilung unter Kontrolle gebracht. Und die Unternehmen wiederum wurden durch diese staatlichen Systeme gezähmt. Doch die Chance für die Unternehmen, um auch diesem Korsett auszubrechen, kam. Sie kam sogar in doppelter Ausführung, nämlich in Gestalt eines unschlagbaren Duos: Globalisierung und Digitalisierung.

Nach dem Ende des Kalten Krieges brachen nach und nach in der Weltwirtschaft alle Dämme und auch Länder wie China öffneten sich nun der freien Marktwirtschaft und dem globalen Handel, der bis dahin im Westen zum Segen aller betrieben wurde und dessen Vorteilhaftigkeit als ehernes Gesetz galt. Großkonzerne waren nun nicht mehr gezwungen, ihre Standorte auf Länder zu beschränken, die ihnen das Leben schwer machten, sondern konnten ihre Produktion in Staaten verlagern, in denen man weniger bürokratische Vorstellungen von solch lästigen Dingen wie Steuern, Menschenrechten, Sozialstaat und Umweltschutz hatte. Globale Strukturen machen frei. Selbst wenn man in einem Land mit seinen Plänen nicht weiterkommt, die Welt ist noch groß genug. Und es gibt immer einige Länder, die sich sagen, dass wenige Einnahmen immer noch besser sind als gar keine Einnahmen und die Konzerne deshalb hofieren. Entsprechend groß wurde auch der Druck in der „alten, westlichen Welt“, hier nachzuziehen, um als exportabhängige Nationen wettbewerbsfähig bleiben zu können – vor allem in Bezug auf die Steuerpolitik. Eine Folge davon, dass dem Großkapital ein globales Spielfeld zur Verfügung steht, in dem man die staatlichen Akteure nach Belieben gegeneinander ausspielen kann, ist laut einer Oxfam-Studie, dass Anfang 2016 die reichsten 62 Menschen der Welt so viel besessen haben, wie die komplette ärmere Hälfte der Erdbevölkerung; das waren zu diesem Zeitpunkt 3,6 Milliarden Menschen. Jeder dieser 62 reichsten Menschen besitzt ein eigenes Privatvermögen, das den Staatshaushalt ganzer Nationen in den Schatten stellt.

Doch wie kommt hier die Digitalisierung ins Spiel? Digitalisierung ist gewissermaßen die Steigerungsform von Globalisierung. Zwar hat der Wegfall von Handelsschranken zu einem starken globalen Austausch geführt, trotzdem gibt es hier immer noch gewisse Einschränkungen, wenn zum Beispiel Produkte eine Zollkontrolle passieren müssen. Ein Unternehmen, das sich ganz oder zum Teil in der digitalen Welt platziert hat, kennt diese Hemmschuhe nicht mehr. Man bietet seine Leistung „direkt“ an: global, zu jedem Zeitpunkt und in Sekundenschnelle. Und im Gegensatz zum „klassischen“ Wirtschaftsleben, das auf Herstellung und Vertrieb physischer Produkte basiert, die auch entsprechend begutachtet und bewertet werden können, entzieht sich die digitale Branche weitgehend der Kontrollmöglichkeit. Wenn z. B. ein Auto nicht die geforderten Abgasnormen einhält, kann man das herausfinden. Doch wer kann einer Suchmaschine oder einem sozialen Netzwerk einen gewollten „Fehler“ in deren Algorithmus nachweisen? Oder wer kann wirklich kontrollieren, was tatsächlich mit den Daten geschieht, die die digitalen Riesen massenhaft von ihren Nutzern sammeln? Und selbst wenn man einen solchen „Fehler“ nachweisen könnte: Wer würde dann einschreiten können? Wäre etwa ein Amtsgericht in der deutschen Provinz dazu in der Lage, ein Unternehmen zum Handeln zu zwingen, dessen Server im Silicon Valley in Kalifornien, USA stehen? Oder das Unternehmen davon abzuhalten, seine Leistung in diesem Land anzubieten? Wohl eher nicht. In einer globalisierten Welt stehen die großen Digitalkonzerne an der Spitze der Nahrungskette. Es kommt nicht von ungefähr, dass der Google-Mutterkonzern Alphabet das neben Apple zurzeit wertvollste Unternehmen der Welt ist. Danach folgen Microsoft und auch Amazon und Facebook befinden sind unter den Top Ten.

Doch eben diese Konzerne unterscheidet etwas Elementares von den global operierenden Unternehmen der „Old Economy“ (wie zum Beispiel Öl-Firmen oder Verbrauchswarenhändlern). Diesen geht es vor allen Dingen um den wirtschaftlichen Erfolg. Darum, dass man ihre Produkte kauft. Die Internetriesen sind natürlich auch auf Erfolg programmiert, aber vertreten dabei auch eine Ideologie. Es geht nicht nur darum, ein Produkt zu verkaufen, sondern darum zu bestimmen, wie wir leben. Der „Spiegel“ hat dieses Phänomen einmal treffend zusammengefasst:

„Die Weltveränderer aus dem (Silicon) Valley wollen, dass die Menschheit an ihrer Hightech-Heilslehre genesen soll. Sie glauben an eine bessere Zukunft durch Technologie wie ein überzeugter Hindu an die Wiedergeburt. Sie sind überzeugt, dass ihre Arbeit zum Wohl der Menschheit sein wird, dass sie die Zivilisation in großen Schritten vorwärtsbringen. Doch sie wollen nicht, dass ihnen dabei jemand reinredet. Sie verabscheuen die Politik und halten Regulierung nicht nur für ein Hindernis, sondern für einen Anachronismus. Wenn der schönen, neuen Welt gesellschaftliche Werte wie Privatsphäre und Datenschutz im Weg stehen – dann müssen eben neue Werte her.“

Beispiele für solche Verhaltensweisen gibt es zuhauf. Da wäre zum Beispiel die Firma Uber, die die Entscheidungen deutscher Gerichte erst einmal einfach ignorierte und seine Tätigkeit munter fortsetzte. Oder die nur allzu kompliziert mögliche, endgültige Löschung von Nutzerdaten bei Facebook, wobei der Verbraucher ohnehin nie weiß, ob seine Daten auch tatsächlich vollends gelöscht wurden. Oder die wiederholten Datenschutzverletzungen von Google, wie zum Beispiel im Rahmen der Nutzung von Google Street View.

Bemerkenswert bei der vorherrschenden Entwicklung ist, wie zögerlich den Internet-Riesen Widerstand entgegengebracht wird. Und sei es nur in Bezug auf ihre Marktmacht. Denn ist es nicht eigentlich ein Grundprinzip der Marktwirtschaft, Monopole zu verhindern? Offensichtlich nicht, denn in den Weiten des World Wide Web bildet sich ein Monopol nach dem anderen. Und deren Akteure verfolgen dabei klare Zielsetzungen:

  • Google (inkl. Youtube): Hat es sich zum Ziel gemacht „die Informationen der Welt zu organisieren und für alle zu jeder Zeit zugänglich und nutzbar zu machen“. Nur wer entscheidet, was auf der Treffer-Liste von Google auftaucht und was an den ersten Stellen steht? Rund 90% (!) aller Internetnutzer in Deutschland nutzen Google als Suchmaschine. Wer bestimmt also, was wir für relevant halten und was nicht? Dabei beschränkt sich Google nicht nur auf seine Suchmaschine, sondern erschließt einen Marktbereich nach dem anderen. Vom selbstfahrenden Auto bis hin zum Investment.
  • Facebook (inkl. Whatsapp): Möchte es seinen Nutzern „ermöglichen, mit den Menschen in ihrem Leben in Verbindung zu treten und Inhalte mit diesen zu teilen“. Dass in diesem Rahmen massenhaft Daten der Nutzer abgeschöpft werden, interessiert dabei natürlich ebenso wenig wie die Tatsache, dass über die Personalisierung der Benutzerdienste die Nutzer in eine bestimmte Richtung gelenkt werden – oder zumindest nicht über ihren Tellerrand hinaussehen. Facebook verfügte Ende 2016 über 1,86 Milliarden aktive Nutzer.
  • Amazon: Will zum besten Online-Kaufhaus der Welt werden – und hat es wohl auch schon geschafft. Im deutschen Versandhandel ist das Unternehmen unangefochten auf Platz 1. Dass die Lagermitarbeiter dafür in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten müssen, interessiert da nur wenig. Ebenfalls interessant ist die Ausnutzung dieser Marktmacht. So verzögerte Amazon die Auslieferung der Bücher bestimmter Verlage, um somit seine Konditionen durchsetzen zu können. – Und wenn man überhaupt noch Bücher verkaufen will, sollte man es sich eben mit Amazon nicht verscherzen.
  • Uber: Hat auf lange Sicht den Plan, zum Welttransportunternehmen zu werden und für günstiges Geld Menschen und Waren überall hin zu transportieren. Von lästigen Gesetzen, wie zum Beispiel in Deutschland der Vorgabe, dass man eine Qualifikation vorweisen muss, um als Taxifahrer tätig zu sein, lässt man sich dabei natürlich nur ungern das Geschäft vermiesen. Bislang beugt sich Uber ganz zum Schluss jeweils noch den Behörden und Gerichten. Doch wie mag sich so ein Unternehmen verhalten, wenn es die Monopolstellung erst einmal unbehelligt inne hat?

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Doch die Linie bleibt bei all den digitalen Konzernen dieselbe: Im Bereich „Digital“ sind wir bereits jetzt an dem Punkt, an dem aus Unternehmen wahre Monster geworden sind. Sie verfügen zum Teil über unangefochtene Monopolstellungen und nutzen sie gnadenlos aus. Sie verfolgen eine genau Vision – oder Ideologie – und sind absolut davon – und von sich selbst –überzeugt, damit das Richtige zu tun. Sie haben ihr Unternehmens-Zentrum in Staaten, die sie in ihren Vorhaben nicht beschränken. Sie operieren weltweit und grenzenlos und sind somit kaum angreifbar. Sie sind zudem geschützt durch die Mauer des Digitalen – niemand weiß, was tatsächlich gespeichert wird und was nicht. Und sie beginnen damit, ihre Ideologie durchzudrücken, egal ob sie mit den Gesetzen eines Landes konform ist oder nicht. Denn faktisch übersteigt ihre Macht bereits jetzt die Macht der meisten Staaten dieses Planeten. Schließlich fügt sich ein Imperium in keine Ordnung ein, sondern es schafft eine eigene Ordnung.

Die neuen Imperien kommen nicht mehr mit Armeen anmarschiert, sie kolonisieren keine Länder und sichern sie nicht etwa mit einem Grenzwall. Sie erscheinen stattdessen als harmlose, selbst ernannte „Heilsbringer“, gelenkt von jungen Typen in T-Shirts, die eher so aussehen, als wären sie früher auf dem Schulhof verhauen worden. Und dennoch sind sie mindestens so gefährlich und eroberungssüchtig wie das Mongolenreich unter Dschingis-Kahn.

Seien Sie sich bewusst: ein Unternehmen ist keine Demokratie, auch nicht das ach so hippe Google (mit seinem Unternehmens-Wahlspruch – ernsthaft – „Don’t be evil“, zu deutsch: „Sei nicht böse“). Und eine Weltordnung, in der der Rechtsstaat nicht mehr die Unternehmen kontrollieren kann, ist eine Weltordnung, in der Sie, Sie als Bürger(!),  nicht mehr mitbestimmten können, wie diese aussehen soll.

Dann mal viel Glück, dass dann alles trotzdem noch in Ihrem Sinne abläuft.

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.Falls Sie etwas für eine bessere digitale Entwicklung tun möchten:

Nutzen Sie Alternativen zu den digitalen Monopolisten. Auf dieser Website werden wir Ihnen wann immer möglich diese Alternativen aufzeigen.

Einige, schon jetzt absolut empfehlenswerte davon sind:

  • Threema anstelle von Whatsapp
  • Here (wego.here.com) statt Google Maps
  • Startpage anstatt Google
  • Leo.org anstelle des Google Übersetzers
  • Einzelhandel anstelle von Amazon
  • Dailymotion statt Youtube

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Im Übrigen gilt:

  • Bleiben Sie wachsam, und verfolgen Sie die weitere Entwicklung der großen Monopolisten
  • Beziehen Sie Position: Informieren Sie sich und engagieren Sie sich wenn möglich gegen diese Unternehmen.
  • Machen Sie Werbung! Erzählen Sie auch den Leuten in Ihrem Umfeld von den sinnvollen und guten digitalen Alternativen.

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Hintergrundinfos zu diesem Thema:

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-132040357.html

https://www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article151164827/Die-62-reichsten-Menschen-besitzen-so-viel-wie-die-3-6-Milliarden-Aermsten.html

http://www.zeit.de/2005/33/P-M_9fnkler

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/ey-studie-das-sind-die-wertvollsten-unternehmen-der-welt-14596047.html

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-130967257.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Kritik_an_Facebook#.C3.9Cbertragung_und_Verwendung_der_Nutzerdaten_von_WhatsApp

http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/google-kritiker-das-sind-die-gegner-in-europa-a-969760.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Amazon.com#Kontroversen

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